Von Dr. Mark Atkinson, Experte für integrative Medizin, Medizinischer Berater bei LiveHelfi & Mitbegründer der School of Biohacking
Eine Patientin kam zu mir mit gedrückter Stimmung, Energietiefs am Nachmittag und der Unfähigkeit, Körperfett zu verbrennen – obwohl sie „alles richtig machte“. Drei Monate nachdem sie strategisches Fasten in ihren Alltag integriert hatte, schlief sie besser, hatte den ganzen Tag über stabile Energie und ihre Entzündungswerte hatten sich deutlich verbessert.
Was hatte sich geändert? Sie hatte ihrem Körper erlaubt, sich daran zu erinnern, was er längst kann.
Fasten ist kein angesagter Biohack – es ist eine der ältesten Heilpraktiken der Welt. Unsere Vorfahren hatten keinen ständigen Zugang zu Nahrung. Sie lebten natürlich im Wechsel zwischen Essen und Nicht-Essen, und unser Körper hat sich so entwickelt, dass er in beiden Zuständen optimal funktioniert.
Das Problem ist: Wir geben unserem Körper heute kaum noch die Gelegenheit, diese Mechanismen zu aktivieren. Wir essen von morgens bis abends – und halten unseren Stoffwechsel ständig im „Wachstumsmodus“. Dabei brauchen wir oft eher den „Reparaturmodus“.
Warum Ihr Körper fasten will
Was mich bei der Einführung des Fastens in meinem eigenen Leben und in meiner Praxis überrascht hat: Wenn Patientinnen und Patienten richtig und bewusst fasten, berichten sie nicht nur von Gewichtsverlust oder besserem Blutzucker. Sie fühlen sich oft geistig klarer, emotional ausgeglichener und energiegeladener – zum ersten Mal seit Jahren.
Das ist kein Zufall. Das ist Biologie, wie sie gedacht ist.
Wenn Sie 14 bis 18 Stunden lang nichts essen, schaltet Ihr Körper in einen völlig anderen Betriebsmodus. Er verarbeitet nicht länger Nahrung, sondern widmet sich der internen Wartung: Zellreparatur, Fettverbrennung, metabolisches Rebalancing.
Der Fachbegriff für diese zelluläre Grundreinigung lautet Autophagie – und sie gehört zu den am meisten unterschätzten Selbstregulierungsmechanismen des Körpers. Sie können sich das vorstellen wie ein inneres Recyclingprogramm: Es baut beschädigte Proteine ab, räumt Zelltrümmer auf und schenkt Ihren Zellen einen Neustart.
Yoshinori Ohsumi erhielt 2016 den Nobelpreis für seine Forschung zur Autophagie. Was er entdeckte, war bemerkenswert: Dieser Prozess reinigt nicht nur die Zellen – er kann auch zur gesunden Alterung beitragen und vor Zellschäden schützen. Doch hier ist der Haken: Autophagie wird vor allem durch Nahrungsabstinenz ausgelöst – nicht durch Nahrung.
Der Insulin-Reset, der alles verändert
In meiner Praxis stelle ich häufig eine Insulinresistenz fest. Dabei sprechen die Zellen nicht mehr richtig auf Insulin an, was den Körper dazu zwingt, immer mehr davon zu produzieren. Das betrifft nicht nur Diabetiker – sondern auch Menschen, die trotz Bemühungen nicht abnehmen, Frauen mit PCOS, Männer mit hartnäckigem Bauchfett oder Menschen mit chronischen Entzündungen.
Insulin ist nicht nur für den Blutzucker verantwortlich. Es ist das zentrale Speicherhormon des Körpers. Wenn es dauerhaft erhöht ist – etwa durch häufige Nahrungsaufnahme –, bleibt der Körper im Speicherzustand. Fettverbrennung wird dann deutlich erschwert.
Fasten entlastet das Insulinsystem. Eine Studie in Cell Metabolism zeigte, dass frühzeitiges zeitlich begrenztes Essen bereits innerhalb von fünf Wochen die Insulinsensitivität verbessert – nicht erst nach Monaten.
Ich habe beobachtet, wie sich die Beziehung meiner Patientinnen und Patienten zum Essen sowie ihre Energieverwertung allein durch eine verlängerte nächtliche Fastenzeit deutlich verbesserten. Kein radikales Diätprogramm, keine komplizierten Essenspläne – nur gezieltes Timing.
Wie ich Fasten mit Patientinnen und Patienten angehe
Im Laufe der Jahre habe ich gelernt: Der beste Fastenplan ist der, den man im Alltag durchhalten kann. Ich beginne meist mit einem sanften Einstieg – zum Beispiel einem 14:10-Protokoll, also 14 Stunden Fasten und ein 10-stündiges Essensfenster.
Für viele bedeutet das: Abendessen um 19 Uhr, Frühstück erst wieder um 9 Uhr am nächsten Morgen. Sie schlafen den Großteil der Fastenzeit ohnehin.
Manche bauen das auf 16:8 oder sogar 18:6 aus. Andere profitieren von ein bis zwei 24-Stunden-Fasten pro Monat. Entscheidend ist, was zu Ihrem Lebensstil, Stresslevel und Ihrer Biologie passt.
Ein Patient – vielbeschäftigter Manager – konnte sich anfangs nicht vorstellen, das Frühstück auszulassen. Wir begannen damit, es eine Stunde später einzunehmen, dann zwei. Sechs Monate später folgte er einem 16:8-Rhythmus und sagte mir, das sei eine der wirksamsten Gesundheitsmaßnahmen gewesen, die er je umgesetzt habe.
Die mitochondriale Verbindung
Ein faszinierender Aspekt, über den kaum gesprochen wird: Fasten hilft nicht nur beim Fettabbau – es kann auch die Fähigkeit Ihrer Zellen zur Energieproduktion verbessern.
Ihre Mitochondrien – die kleinen Kraftwerke in jeder Zelle – arbeiten im Fastenzustand oft effizienter. Sie können Fett besser als Brennstoff nutzen, produzieren weniger oxidativen Stress, und laut einiger Studien könnte Fasten sogar die Bildung neuer Mitochondrien fördern.
Deshalb berichten viele Patientinnen und Patienten, dass sie sich mit dem Fasten energiegeladener und nicht müder fühlen. Ihre Zellen werden offenbar besser darin, Energie bereitzustellen.
Dr. Mark Mattson von der Johns Hopkins University konnte in seinen Studien zeigen, dass intermittierendes Fasten die Gehirnfunktion, Neuroplastizität und den Zellschutz unterstützen kann. Das Gehirn läuft übrigens sehr gut mit Ketonen – den Nebenprodukten der Fettverbrennung.
Wann Fasten nicht das Richtige ist
Lassen Sie mich klar sagen: Fasten ist nicht für jede Person und nicht in jeder Lebensphase geeignet.
Ich empfehle es nicht für Schwangere oder Stillende, ebenso wenig für Menschen mit einer Vorgeschichte von Essstörungen. Wer blutzuckersenkende Medikamente nimmt, sollte Fasten nur unter ärztlicher Aufsicht praktizieren.
Ich sehe auch Menschen, die so stark unter chronischem Stress stehen, dass Fasten ihre Situation verschlimmert. In solchen Fällen arbeiten wir zuerst an Stressresilienz, Schlafqualität und Nervensystemregulation, bevor wir Fasten einführen.
Ihr Körper wird Ihnen zeigen, ob Fasten für Sie sinnvoll ist. Wenn es Angstzustände verstärkt, den Schlaf stört oder Sie sich gleichzeitig erschöpft und innerlich aufgedreht fühlen, ist es nicht der richtige Zeitpunkt. Achten Sie auf diese Signale.
Fasten nachhaltig gestalten
Langfristig erfolgreich sind diejenigen, die Fasten als bewusste Praxis und nicht als Bestrafung betrachten. Sie arbeiten mit ihrer Biologie – nicht gegen sie.
Hydration ist entscheidend, besonders bei längeren Fastenzeiten. Ich empfehle oft, hochwertiges Elektrolytpulver – mit Natrium, Magnesium und Kalium – ins Wasser zu geben. So beugen Sie Müdigkeit und Konzentrationsproblemen durch Dehydration vor.
Ich kombiniere Fasten gern mit beruhigenden Praktiken: Herz-Kohärenzübungen mit HeartMath, sanftes Yoga, Meditation – alles, was das Nervensystem in den parasympathischen Modus bringt. Fasten ist bereits ein milder Stressor – dieser sollte nicht durch chronische Anspannung verstärkt werden.
Bei LiveHelfi haben wir Nahrungsergänzungsmittel ausgewählt, die das Fasten unterstützen können, ohne es zu unterbrechen. Molekularer Wasserstoff wird hinsichtlich seiner Wirkung auf die Mitochondrienfunktion erforscht. Berberin kann die Aktivierung von AMPK – einem Schlüsselenzym im Energiestoffwechsel – fördern.
Besonders interessant finde ich Spermidin. Studien deuten darauf hin, dass es Autophagie unterstützen kann – sogar in Anwesenheit von Nahrung.
Das Fasten richtig beenden
Wie Sie ein Fasten beenden, ist ebenso wichtig wie das Fasten selbst. Ich empfehle immer, das Fasten sanft zu brechen. Beginnen Sie mit leicht verdaulichen Lebensmitteln – zum Beispiel Knochenbrühe, einer kleinen Portion gesunder Fette und Proteine oder ballaststoffreichem Gemüse.
Ziel ist es, das Verdauungssystem wieder in Gang zu bringen ohne Entzündungsreaktionen oder Blutzuckerspitzen. Ich habe erlebt, wie Menschen den positiven Effekt ihres Fastens untergraben, weil sie es mit Fertigprodukten oder übergroßen Mahlzeiten beenden.
Mehr als nur körperlich
Was mich am Fasten am meisten beeindruckt, ist seine psychologische und spirituelle Wirkung. Eine bewusste Pause vom ständigen Konsum schafft Raum – Raum, um Hunger von Gewohnheit zu unterscheiden, Raum, um Unbehagen auszuhalten ohne sofortige Ablenkung, Raum, um sich mit echter Nahrung und Bedürfnissen zu verbinden.
Viele berichten, dass ihnen beim Fasten bewusst wird, wie oft sie emotional oder aus Gewohnheit essen, nicht aus echtem Hunger. Allein diese Erkenntnis kann transformierend sein.
Beginnen Sie dort, wo Sie stehen
Wenn Sie neugierig auf das Fasten sind, fangen Sie sanft an. Versuchen Sie ein 12-stündiges nächtliches Fasten – zum Beispiel Abendessen um 19 Uhr, Frühstück um 7 Uhr. Achten Sie auf Ihre Energie, Stimmung und Hungergefühle.
Dann können Sie versuchen, das Frühstück eine Stunde später zu essen – dann zwei. Hören Sie auf Ihren Körper. Manche Menschen blühen bei längeren Fasten auf, andere kommen besser mit kürzeren, regelmäßigen Phasen zurecht.
Es geht nicht darum, das Protokoll einer anderen Person perfekt zu befolgen. Es geht darum, einen Rhythmus zu finden, der Ihre Gesundheit, Energie und Beziehung zum Essen verbessert.
Merken Sie sich: Fasten ist keine Entbehrung. Es ist eine Einladung, dem Körper Raum zu geben – zur Heilung, zur Erneuerung, zur Rückkehr zu seiner inneren Weisheit. Wenn es mit Respekt und Verstand praktiziert wird, kann es eines der kraftvollsten Werkzeuge für Ihre Gesundheit sein.
Ihr Körper weiß bereits, wie man fastet. Sie müssen ihm nur genug vertrauen, damit er es tun kann.
Quellen:
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Sutton, E. F., et al. (2018). Early Time-Restricted Feeding Improves Insulin Sensitivity. Cell Metabolism, 27(6), 1212-1221.
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Mattson, M. P., et al. (2017). Intermittent metabolic switching, neuroplasticity and brain health. Nature Reviews Neuroscience, 18(2), 63-74.
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Longo, V. D., & Panda, S. (2016). Fasting, circadian rhythms, and time-restricted feeding in healthy lifespan. Cell Metabolism, 23(6), 1048-1059.
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Michalsen, A., & Li, C. (2013). Fasting therapy for treating and preventing disease. Forschende Komplementärmedizin, 20(6), 444-453.
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Eisenberg, T. et al. (2009). Induction of autophagy by spermidine promotes longevity. Nature Cell Biology, 11(11), 1305-1314.